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Medizinische Ahmadiyya Muslim Organisation
Interview mit Professorin

Interview mit Professorin

Prof. Dr. habil. Madiha Rana (1982) studierte Psychologie mit dem Nebenfach Neurologie an der Universität Hamburg. Für ihre Diplomarbeit zum Thema „Krankheitsverarbeitung von Schlaganfallspatienten im interkulturellen Vergleich“ reiste sie nach Pakistan. Später war Sie unter anderem als neuropsychologische und verkehrspsychologische Gutachterin tätig. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin arbeitete sie in der Forschung und als Dozentin an der Universität Hamburg und an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr. Seit einigen Jahren leitet Sie zudem Workshops für Führungskräfte im medizinischen Sektor. Seit 2018 hat sie eine Professur für Angewandte Psychologie an der Europäischen Fernhochschule Hamburg (Euro-FH) inne, ist verheiratet und hat zwei Kinder.

MAMO Lajna hat mit ihr über ihren Werdegang, ihre Forschung und die Vereinbarung von Familie und Beruf gesprochen.

MAMO: Asslamualeikum Frau Rana, nach dem Diplom in Psychologie sind Sie an der Universität in Hamburg geblieben. Was macht man als wissenschaftliche Mitarbeiterin den ganzen Tag an einer Uni?

Madiha: Waleikumassalam. Die Hauptaufgaben bestehen darin, dass man die Lehre macht, dem Professor zuarbeitet und nebenbei forscht und publiziert.

MAMO: In welchem Bereich haben Sie geforscht?

Madiha: Zuerst habe ich über die Krankheitsverarbeitung von Schlaganfallpatienten geforscht und später dann auch über Krebspatienten. Ich habe also durchgehend zum Bereich Krankheitsverarbeitung geforscht und nebenbei noch weitere Themen gehabt.

MAMO: Was macht man da genau? Waren Sie bei den Patienten?

Madiha: Bis zur Promotion war ich bei den Patienten, weil ich die Daten noch selbst erheben musste. Irgendwann ist es im wissenschaftlichen Betrieb so, dass man Abschlussarbeiten zum eigenen Forschungsschwerpunkt betreut und dann erheben die Studenten die Daten. Vor allem bei Promotionen erhält man sehr gute Datensätze und kann diese dann gemeinsam mit den Studenten publizieren. Das ist eine Win-Win Situation.

MAMO: Waren Sie auf Konferenzen in und außerhalb Deutschlands?

Madiha: Ja auf einigen, aber nur bundesweit.

MAMO: Für Ihre Diplombeit sind Sie nach Pakistan gereist. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen, eine Vergleichsstudie anzugehen? Wie haben Sie die Zeit dort erlebt?

Madiha: Mich interessiert der interkulturelle Vergleich, weil ich in beiden Kulturen verwurzelt bin und daher das Know-How mitbringe, um die Daten kulturfair zu interpretieren. Es gibt in der Psychologie eine Strömung, die sagt, dass diejenigen keine interkulturelle Forschung machen dürften, die nicht beide Kulturen kennen, weil sie von außen gar nicht den Einblick in die Kulturen haben. Es sollten also nur diejenigen machen, die beide Kulturen erlebt haben. Deshalb fand ich das sehr spannend und habe das dann meinem Papa erzählt und er hat sich bereit erklärt, mit mir nach Pakistan zu fliegen und mich zu unterstützen. Ich glaube, das waren sechs Wochen. Dann habe ich meine Kontakte zu den Kliniken geebnet, wo ich meine Daten erheben wollte. Ich konnte während dieser Zeit bei meinen Verwandten leben. Und wie du weißt, sind die Leute in Pakistan sehr hilfsbereit, und mein Onkel hat mich überall hingefahren.

MAMO: Wie waren die Patienten? Welche positiven und negativen Erfahrungen haben Sie noch in Erinnerung?

Madiha: In erster Linie negative Sachen. Das war der absolute Kulturschock. Auch, wenn ich heute daran denke, werde ich traurig. Wenn du in Deutschland in eine schlechte Klinik gehst, geht es den Leuten recht gut, aber das war einfach … denen ging es wirklich sehr schlecht. Was mir als erstes in den Sinn kann: „Okay, jetzt verstehe ich, warum es ein Dritte-Welt-Land ist“. Ich bin ja nicht in die Privatkliniken gegangen. Ich bin in die staatlichen, großen Kliniken gegangen. Und es war furchtbar, keine Ausstattung. Die Betten waren schrecklich. Die Patienten lagen teilweise auf dem Flur oder draußen. Ich bin ziemlich traurig zurückgekommen.

MAMO: Wie gehen Sie mit solchen belastenden Situationen um?

Madiha: Im Endeffekt beruht ja alles auf Gottvertrauen. Alles im Leben kann man ertragen mit Gebeten. Du siehst die Sachen und alles, was du machen kannst, ist zu beten. Ich bin kein Mensch, der es ewig mit sich herumträgt. Es ist schlimm, aber man muss sich klar machen, dass die Welt aufgrund der Menschen manchmal kein gerechter Ort ist, und es geht darum, für sich selbst das Beste daraus zu machen.

 

Kopftuch bei der Arbeit tragen und Briefe an Hazur-e-Aqdasatba*

 

MAMO: Wie sieht es mit Kopftuch bei Ihrer Arbeit aus? Haben Sie jemals negative Erfahrungen damit gemacht?

Madiha: Ich war sieben Jahre an der Universität der Bundeswehr und das ist eine sehr spezielle Klientel, da kommen schon sehr patriotische Menschen hin. Und ich habe in den sieben Jahren nicht ein einziges Mal irgendeine negative Rückmeldung wegen meines Kopftuchs bekommen.

Alhamdolillah bin ich zum Vorstellungsgespräch an die Helmut-Schmitt-Uni gegangen und habe den Job gleich bekommen und mein Chef hat später einmal zu mir gesagt, ihm wäre gar nicht aufgefallen, dass ich ein Kopftuch getragen habe. Er fand mich inhaltlich und von meiner Persönlichkeit aus sehr überzeugend. Also diese sieben Jahre war es kein Thema. Als ich an die Euro-FH gekommen bin, hatte ich meine Bedenken, weil sie sehr viel Werbung machen. Sie haben Bilder und Videos ihrer Professoren auf ihrer Webseite. Ich hatte aber ein tolles Vorstellungsgespräch und wurde danach direkt eingestellt.

MAMO: Lässt sich Ihre Arbeit gut mit Ihrem Familienleben vereinbaren?

Madiha: Da, wo ich heute bin, muss ich ehrlich sagen, das ist mein absoluter Traumjob. Ich war immer jemand, dem die Mutterschaft wichtiger war, auch wenn ich gerne arbeite. Ich hätte niemals meine Kinder hinten angestellt für meinen Job. Und dass mir Allah einen Job gegeben hat, bei dem ich in erster Linie Mutter sein kann, trotzdem arbeiten kann, für diese tolle Gelegenheit bin ich sehr dankbar.

MAMO: Haben Sie auch immer Hazuratba geschrieben? Was hat Seine Heiligkeit Ihnen geantwortet?

Madiha: Ich schreibe Hazuratba vor jedem Schritt, den ich mache und bitte ihn darum zu beten, dass Allah mich auf den rechten Weg führen möge. Und alhamdolillah haben Hazursatba Gebete dazu geführt, dass ich heute alhamdolillah wunschlos glücklich bin.

 

Job als Professorin

 

MAMO: Sie sind seit 2018 Professorin. Welche einzelnen Schritte führen zu einer Professur im Fach Psychologie?

Madiha: Die Promotion nach dem Diplom- bzw. Masterabschluss ist die erste Qualifikation und danach macht man die Habilitation. Da muss man im Allgemeinen, wobei es von Fachrichtung und der Uni abhängig ist, mindestens 10 Publikationen nach der Promotion haben und muss beweisen, dass man in verschiedenen Bereichen erfolgreich geforscht hat und dann muss man eine Schrift wie bei der Promotion zusammenschreiben. Zwei Gutachter bewerten diese Schrift. Dann muss man seine Arbeit in einer mündlichen Prüfung, auch ähnlich wie der Promotion, verteidigen. Und wenn man es geschafft hat, erhält man den Titel PD (Privatdozent), den man sich vor seinem Namen schreiben kann. Und Professor ist in Deutschland keine Qualifikation, sondern eine Berufsbezeichnung, d.h. man kann die Qualifikation des PD aneignen und sich einen Job als Professor suchen. Den Titel des Professors bekommst du aber nur, weil du den Job als Professor hast. Wenn du dort nicht mehr arbeitest, führst du auch den Titel Professor nicht mehr. Der PD bleibt dir aber.

Ich habe mich nach der Habilitation an der Euro-FH beworben, weil es eine Fernuni ist und es somit für mich privat gelegen kam. An einer normalen Uni muss man viel Lehre machen, anwesend sein und zu Kongressen gehen. Zwischenzeitlich hatte ich zwei Kinder bekommen. Für mich war es also keine Option, an eine normale Universität zu gehen. Die Fernuni hat ein Home-Office Konzept, sodass ich von zu Hause aus arbeiten kann und nicht immer anwesend sein muss. Und da ich in erster Linie Mutter bin und dann berufstätig, war das für mich der ideale Job. Nach der Bewerbung dauert es dann auch noch ein Jahr mit dem Berufungsverfahren. Dann wird eine Kommission zusammengesetzt, die die Bewerbungen begutachtet, man muss einen Probevortrag halten. Am Ende entscheidet die Universität, wen sie auswählt.

MAMO: Wie sieht Ihr Berufsalltag als Professorin aus?

Madiha: Dadurch, dass es eine Fernuni ist, muss ich keine Lehre machen. Ich stehe also nicht vor den Studenten. Ich muss Studiengänge konzipieren. Ich wurde eingestellt, um den Masterstudiengang Gesundheitspsychologie zu entwickeln. Bis jetzt war mein Arbeitsalltag, die Studienunterlagen zu entwickeln, die Module auszuarbeiten und zu entscheiden, wie der Studiengang aufgebaut werden soll.

MAMO: Wie konzipieren Sie? Wie oft müssen Sie in der Universität anwesend sein?

Madiha: Ich habe zwei Tage Anwesenheitspflicht und muss dafür nach Hamburg ins Büro fahren. Es ist zwar mein Studiengang, aber dafür muss ich sehr viel abstimmen, in erster Linie ist das ein riesiger bürokratischer Aufwand, der dahintersteckt. Wir haben ein Lektorat, ein Prüfungs- uns Studienservice usw., also sehr viele Abteilungen. Das ist dann meine Aufgabe, dass ich mich mit ihnen abstimme, Terminabsprachen, dies und das. Das meiste mache ich von zu Hause. Die zwei Anwesenheitstage packe ich dann mit Terminen voll. Wir haben auch Workshops, Senatssitzungen, Gremien usw. Das kommt dann noch zusätzlich zu den zwei Anwesenheitstagen im Monat.

MAMO: Vermissen Sie die Lehre?

Madiha: Ich habe in meinem Leben sehr viel Lehre gemacht und auch wenn es so ist, dass Lehre viel Spaß macht, wird es irgendwann langweilig. Bei mir war es auch so, dass ich keine Lust mehr dazu hatte. Ich arbeite nebenberuflich als Dozentin und leite Führungskräfteseminare und das ist auch eine Art von Lehre. Und da Lehre an einem Ort und an eine Zeit gebunden ist, kann man das mit Kindern nicht regelmäßig machen. Kinder werden krank und du musst auch für sie da sein, zu Hause sein. Bei meiner jetzigen Arbeit kann ich tagsüber bei den Kindern sein und auch nachts arbeiten.

 

Tipps für junge Muslimas

 

MAMO: Wo möchten Sie in 10 Jahren stehen?

Madiha: Meinen aktuellen Job möchte ich bis zur Rente machen. Mama sein ist am wichtigsten. Ich hatte eine Mama, die immer da war, wenn ich nach Hause kam und das war ein schönes Gefühl. Wenn ich einen Job haben kann und zu Hause sein kann und da bin, wenn meine Kinder nach Hause kommen, dann ist das das größte Geschenk, das es gibt. Deshalb werde ich diesen Job weiter machen, aber ich habe auch einige Forschungsprojekte laufen und was ich noch gerne mache, ist die Führungskräfteentwicklung. Das möchte ich noch weiter ausbauen. Jetzt sind meine Kinder noch sehr klein und brauchen sehr viel Zeit, aber später, wenn sie in der Schule sind und ich mehr Zeit habe, dann würde ich die anderen Standbeine, die ich noch habe, ausbauen. Pläne habe ich viele.

MAMO: Was können Sie einer jungen Muslima für ihren Werdegang mitgeben?

Madiha: Im Grunde genommen nichts Neues, aber man kann es nicht oft genug wiederholen: Jeden Schritt, den man im Leben geht, muss man mit Gebeten beginnen. Und wenn man genug Gebete dargebracht hat, auch in einer gewissen Intensität, dann zeigt auch Allah den Weg. Das ist meine größte Lebenserfahrung, die ich in meinem Leben gemacht haben, dass Allah einem nicht in Stich lässt, dass Allah einem den Weg zeigt und die richtigen Türen öffnet. Ich denke, man soll auch planen, aber man soll auf sein Herz und auf sein Gefühl hören und wenn sich Möglichkeiten bieten, diese mit Gottvertrauen ergreifen.

Meine Erfahrung ist zudem, wenn man das Pardah mit einer Selbstverständlichkeit trägt, merken die Leute das manchmal nicht einmal. Und das ist bei mir an allen drei Universtäten so gewesen, dass die Leute das tatsächlich gar nicht bewusst bemerken. Es ist nicht das markanteste Merkmal, das den Leuten auffällt. An der Euro-FH haben sie auch gesagt, als ich weggegangen bin, ist ihnen erst klar geworden, dass ich ja ein Kopftuch anhatte und haben dann meine Kollegin gefragt, ob ich das immer trage. Also mit völligem Selbstbewusstsein und Selbstverständnis da reingehen, zeigen, was man für ein Mensch ist und dass man eine Bereicherung dort sein kann. Wenn man eine charismatische Persönlichkeit hat, dann gerät der Rest in den Hintergrund.

MAMO: Jazakillah für das Gespräch.

Das Gespräch führte Samina Tabassum.

*mit Hazur-e-Aqdas wird seine Heiligkeit, der Kalif der Ahmadiyya Muslim Jama´at angesprochen