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Zuerst Familie, dann Medizinstudium?

Zuerst Familie, dann Medizinstudium?

Wasimas Leben ist gerade alles andere als gewöhnlich: 36 Jahre alt, drei Töchter und nun Medizinstudentin im zweiten Semester. Was motiviert eine Mutter mit Mitte Dreißig noch einmal die Unibank zu drücken – mit Studenten, die mit Anfang 20 das Studium beginnen? Kann das gelingen? Und was kommt nach dem Abschluss mit Anfang 40?

Bevor Anfang April das zweite Semester begann, war Wasima einige Wochen mit den Kindern zu Hause. In der vorlesungsfreien Zeit hat sie ihre Töchter auf die Wettbewerbe für das Ijtema vorbereitet, mit der Familie an Ijlasaat teilgenommen und neue Energie getankt. Sechs stressige Monate, aber auch eine bereichernde Zeit liegen hinter ihr. Während Wasima am Telefon erzählt und auf das erste Semester zurückblickt, ist sie sehr lebhaft, und vor allem weiß sie genau, was sie sich vorgenommen hat: „Ich wollte zuerst, dass meine Kinder älter werden und etwas selbstständiger sind. Eine Zeit lang habe ich auch meinen Mann bei seiner Promotion unterstützt.“ Ihr Ehemann kam vor 14 Jahren nach Deutschland und arbeitet heute in einer Kinderklinik in der Forschung. Er hat es geschafft – trotz anfänglicher Sprachbarriere und einem Marathon an Anerkennungen von Zertifikaten. Nun ist Wasimas Wunsch, selbst Medizin zu studieren, etwas weiter nach oben gerückt. „Meine Familie ist mir sehr wichtig. Doch Hazur (atba) sagt auch, dass wir uns in jedem Bereich verbessern und übertreffen sollen“, sagt sie.

Wenn man mit ihr über ihren beruflichen Werdegang spricht, ist das Medizinstudium mit 35 Jahren nicht mehr ganz exotisch. Es ist nur ein anderer Weg, doch noch Ärztin zu werden. Nach dem Realabschluss machte Wasima eine Ausbildung zur Fachinformatikerin. Dann holte sie das Abitur nach und sicherte sich einen Unizugang mit einer Eins vor dem Komma. Nachdem ihre drei Töchter zur Welt kamen, stand erst einmal die Familie an erster Stelle. Hausarbeit, Kinder erziehen, Nachmittage mit den Kindern auf dem Spielplatz verbringen, kranke Kinder die Nächte durch versorgen. All das kennt sie wie jede Mutter auch zur Genüge, aber die Begeisterung, mehr zu lernen und weitere Abschlüsse zu erreichen, blieb. Sie sagt: „Damals hatte ich noch nicht genug von Bildung und habe mir mit meinen Töchtern schnell einen geregelten Alltag eingerichtet“. Über die Zeit, die sie zu Hause verbracht hat, sagt sie: „Es war eine schöne Zeit, aber ich habe auch nach vorne geschaut, wann ich doch noch mit dem Studium beginnen kann. Weil in meinem Bekanntenkreis die Mutterrolle etwas Großartiges ist, habe ich mich nie schlecht dabei gefühlt, dass ich lange Zeit nicht studieren und arbeiten konnte.“

Aus dem Wunsch wurde ein konkreter Plan und seit Oktober 2018 ist ihr Alltag strikt getaktet. Aufstehen, Alltag, Vorlesungen und Kurse besuchen, lernen, für die Familie da sein. Eine Erleichterung ist es, dass sie nicht weit pendeln muss. Wegen ihrer Familie hat sie einen Studienplatz in der Nähe ihres Wohnorts erhalten. Positiv angerechnet wurden ihr vermutlich der Einserschnitt im Abitur, die vielen Wartesemester und die Ausbildung, die sie noch vor dem Abitur absolviert hat.

www.hochschulstart.de informiert über den Bewerbungsprozess für die Studiengänge Humanmedizin, Zahnmedizin, Tiermedizin und Pharmazie. In jedem Halbjahr werden die Quoten veröffentlicht, mit welchem Notendurchschnitt und nach wie vielen Wartesemestern also Studenten/innen einen Studienplatz erhalten haben. Was ändert sich in den nächsten Jahren beim Auswahlverfahren? Wie kann ich meine Chancen auf einen Studienplatz erhöhen? Kann ich Medizin als Zweitstudium beginnen? Mehr erfahren Sie auf dieser Webseite.

Wasima studiert mit vielen sehr jungen Menschen; ganz alleine ist sie in ihrem Alter jedoch nicht, ein paar älteren Studenten ist sie bereits begegnet. Als sie eine 17.-jährige getroffen hat, war sie doch etwas verunsichert. Aber am Ende des ersten Semesters sagt sie: „Angst hatte ich schon davor, wie mich die anderen, vor allem jüngeren Studenten aufnehmen. Aber alhamdulillah bin ich super gut angenommen worden, auch mit meinem Purdah.“

Das Studium ist sehr zeitaufwendig, bis zum späten Nachmittag ist sie noch in der Uni, manchmal auch am Wochenende. Wie klappt es da mit dem Haushalt und wie viel Zeit bleibt für die Familie? Darauf antwortet sie: „Wir haben uns alle Aufgaben geteilt. Ich mache am Abend vor dem Schlafen gehen alles sauber und gekocht wird auch nachmittags gemeinsam und vor allem am Wochenende. Das ist dann hauptsächlich Familienzeit. Noch habe ich das Glück, dass ich zwei Mal die Woche früher Schluss habe. Im Vordergrund steht, dass wir alles gleich erledigen, nichts stehen lassen. So bin ich geistig entlastet.“

In den Weihnachtsferien im letzten Jahr besuchte sie Verwandte in Pakistan. Zufällig hat es sich ergeben, dass sie einige Tage in Rabwah verbrachte und am Tahir Heart Institut in Bereich der Kardiologie bei Dr. Nuri hospitieren durfte. Sie durfte bei Tests, Ultraschalluntersuchungen und bei OPs, während Stants gelegt wurden, zuschauen. Begeistert von ihrem Mentor erzählt sie: „Dr. Nuri hat sich viel Zeit für uns Studentinnen genommen und viel über seine Arbeit erzählt, was zum Beispiel typische Zeichen von Herzproblemen sind. Eine Studentin hat dort ihre Famulatur gemacht. Vielleicht werde ich meine auch dort absolvieren.“

Wenn sie an die nächsten sechs Jahr denkt, die vor ihr liegen, sagt sie: „Ich schaffe das inshallah mit der Unterstützung meiner Familie und weil ich einen Plan habe.“ Wenn alles nach Plan läuft, wird sie mit Anfang 40 in einer Klinik als Medizinerin arbeiten können. Manche Menschen schätzen es gerade von etwas älteren Ärzten behandelt zu werden als von Ärzten, die bereits vor dem 30. Lebensjahr ins Berufsleben einsteigen. Bedenkt man, dass das Renteneintrittsalter immer weiter steigen könnte, wird sie mit Sicherheit mehr als 20 Jahre eine sinnvolle Arbeit haben. Sie wird eine Lücke im Arbeitsmarkt füllen. Denn Ärzte werden in einigen Gegend Deutschlands händeringend gesucht. Auf diese Weise der Gesellschaft zugutekommen, in der man lebt, sich sozial engagieren, Menschen unterstützen – daran denkt sie, wenn sie ihre Ziele konkretisiert. Doch allein darum geht es Wasima nicht. „Ich möchte meinen Töchtern auch vermitteln, dass sie auch viel erreichen können, mit viel Einsatz, starkem Familienzusammenhalt, mit Gebeten und trotz Purdah.“

Noch ist alles neu und spannend. Dass die Motivation nicht Jahre halten wird, bis sie das Studium erfolgreich abgeschlossen hat, mit Klausurvorbereitungen in der Nacht und die Aufopferung der eigenen Freizeit, weiß auch Wasima. „Ich versuche das Studium zwar als meine Freizeit zu sehen. Das wichtigste ist aber, dass mein Glaube mir Halt gibt.“ Deshalb besucht sie mit ihrer Familie regelmäßig die Veranstaltungen in der Jamaat, betet in Gemeinschaft und schreibt Hazur (atba).  Jeden Schritt hat sie Hazur (atba) berichtet und um Dua gebeten, auch weil ihre Töchter Waqf-e-Nau sind. Seine Gebete hat sie mit Sicherheit auf ihrer Seite. In einem Brief schrieb er ihr zurück: „Möge Allah tala Ihnen die Möglichkeit geben, der Menschheit zu dienen.“